(En) “Wir sind kein Museum der Sozialgeschichte!”
Wir freuen uns, die erste Ausstellung des Niederländischen Künstlers Melvin Moti (Rotterdam, 1977) zu präsentieren. Die Ausstellung umfasst eine neue 35 mm Filminstallation, eine Serie von Fotographien, und ein Künstlerbuch das in limitierter Ausgabe erscheint.
Das Victoria and Albert Museum entstand als Sammlung internationaler Design-Klassiker. Es basiert hauptsächlich auf der ersten Weltausstellung, die 1851 im Crystal Palace in London stattfand. Die Weltausstellung, und im Gefolge das Victoria and Albert Museum, war eine Zurschaustellung von materiellem Grandeur. Es wurde aus dem enzyklopaedischen Drang organisiert und installiert, globale Entwicklungen in Industriedesign und Handwerk zu verzeichnen, während es gleichzeitig einen grundlegenden Index des Geschmacks aufzustellen versuchte. Ein einfacheres, eher kapitalistisches Ziel war es, künftige Verbraucher dazu zu verführen in Britisches Industriedesign zu investieren, indem edle Objekte einem breiten Publikum vorgeführt wurden. Als die Ausstellung ihr Ende fand, bekam Henry Cole, der Vorsitz der Ausstellung, einen Zuschuss von der Britischen Regierung um eine Anzahl der Designobjekte anzukaufen, die im Crystal Palace zur Schau gestellt waren. Diese Stücke waren die ersten der Sammlung, die später das Victoria and Albert Museum werden sollte. Heute besitzt das Museum ein breites Spektrum an Arbeiten aus allen Teilen der Welt, im Kontext zeitgenössischer Kunst und Kultur wie auch Werbung und Populärkultur (z.B. Die Sammlung zeitgenössischer Indischer Filmplakate).
Im Laufe eines Jahrhunderts hat das Victoria and Albert Museum eine Anzahl provokativer Positionen entwickelt, die häufig kritisiert worden sind. Stets beschränkt sich das Museum darauf, die „inhärenten Charaktereigenschaften“ der ausgestellten Objekte zu offenbaren. Indem ein Minimum an Kontextinformation gegeben wird, ist es den Objekten überlassen, alleine für sich selbst zu sprechen. Hier sind Kunstwerke vollkommen objektifiziert, sie werfen Fragen hinsichtlich ihrer eigenen inneren Struktur und Logik auf. Von jeglicher Sensibilität für einen historischen Rahmen entleert, stellt die innewohnende Eigenschaft einer bestimmten Technik oder eines Materials den immanenten Wert des Objekts – sowie das körperliche Erleben des Objekts.
Gleichzeitig macht diese Herangehensweise es extrem schwierig für irgendeinen Besucher, die Exponate ganz zu begreifen. Durch den Mangel an Kontextinformation, wie auch die enorme Größe der Sammlung ist das Victoria and Albert Museum die einzige Institution die tatsächlich Besucher davon abhält, sich mit der Sammlung zu beschäftigen. Von den frühen Jahren des Museums bis heute ist es stets zu überladen, zu voll, zu visuell überstimulierend gewesen, da sich mit jedem Blick ein neues Objekt aufdrängt, sodass die Wahrnehmung des Besuchers beim ersten Blick saturiert ist. Das antihistorische und antisoziale museologische Dogma des Victoria and Albert Museum erklärt die Aussage dies sei „kein Museum der Sozialgeschichte“, in der Vergangenheit hat sich das Museum selbst als „verherrlichtes Lager“ beschrieben. Die formale Kategorisierung, auf das Material der Objekte ruhend, wandelt den aesthetischen Blick des Betrachters in einen „geologischen“ Blick, ausschliesslich an Oberflächen, Materialien und Techniken interessiert. Effektiv verwandelt diese Minimierung von Kontextinformationen die Ausstellungsstücke in schwebende, unzusammenhängende Objekte. In Abwesenheit von ausführlichen Informationen und aufklärenden Ressourcen für ihre Ausstellungen; in Abwesenheit eines konventionellen, vestibulären Vokabulars, beginnt die Sammlung zu schweben. Losgelöst von auferlegten Narrativen fangen die Stücke an, von jeglichem Verständnis durch ein historisches, chronologisches oder soziales Bezugssystem wegzutreiben. Chaos ergibt sich. Verwirrtheit folgt. Mit diesem Ort klar zu kommen ist so schwierig wie im Weltraum in einen Becher zu pinkeln; das ist ein schwereloses Museum.
Eigengrau (The Inner Self in Outer Space) ist eine schwerelose Ausstellung im Filmformat, sie verbindet die hyperrealistischen antiken Objekte der V&A Sammlung mit der Textur von Himmelskörpern unseres Sonnensystems, sie bewegt sich von der inneren Konstruktion jedes Objekts (Glas, Holz, Gold usw.) zum Weltraum. Der Film zeigt gemalte Monde und dekorative Objekte, die auf verschiedenen Umlaufbahnen schweben, eingefangen in langsamen Bildern, und treibt diese Objekte menschlichen Ursprungs in eine Atmosphäre von Entfremdung und Spannung, in scheinbar schwereloser Abkoppelung von allen Referenzpunkten.
Eigengrau verzichtet komplett auf digitale Technologie und betont die handwerklichen Fertigkeiten in den grossen Science Fiction Produktionen der 1970er. Der Film wird durch eine Fotoserie begleitet, die die Sammlungsstücke (die Filmbesetzung) zeigt. Ein Künstlerbuch mit einem Aufsatz des Künstlers spielt bei diesem Projekt eine Schlüsselrolle, es untersucht mehrere konzeptuelle Themen in Zusammenhang mit den innewohnenden Eigenschaften von Sprache und Objekten. Das Künstlerbuch ist nicht instruktiv oder dokumentarisch, es ist sozusagen kein Katalog sondern ein autonomes Element des Projekts.
Moti untersucht neurologische, wissenschaftliche und historische Prozesse im Verhältnis zur visuellen Kultur. In den letzten Jahren hat er mehrere Filme sowie Künstlerbücher, Objekte und Zeichnungen produziert. Zu den Orten von Motis Einzelausstellungen zählen: Mudam (Luxembourg), MIT List Visual Arts Center (Boston), Wiels (Brussels), Galeria Civica (Trento), MMK (Frankfurt), Frac Champagne-Ardenne (Reims) and Stedelijk Museum (Amsterdam).