(De) Die erste Ausstellung in den neuen Räumlichkeiten der Galerie Meyer Riegger in Seoul widmet sich dem Werk von Horst Antes. Gezeigt werden Hausbilder von 1986 bis 2023 sowie ein Datumsbild von 2015/2016.
Nach der NS-Zeit musste die Weise, wie eine menschliche Figur dargestellt werden konnte, neu erfunden werden. Deshalb dominierten nach dem Zweiten Weltkrieg in Westeuropa und in den USA zunächst die Bildsprache des Informel und des Abstrakten Expressionismus. In den Sechzigerjahren geriet auch die abstrakte Malerei in eine Krise – als Gegenreaktion entstand die Strömung der Neuen Figuration, als deren Mitbegründer Horst Antes gilt. Die Neue Figuration trägt der Veränderung des Menschenbildes durch Diktatur, Krieg und Technik Rechnung.
Auch Antes malte zu Beginn seines Schaffens abstrakt. Bald aber erschien ihm der Raum in der abstrakten Malerei als „unlebendig, unmenschlich und unbewohnbar“. So entwickelte er in seinem Frühwerk ab 1958 aus den freieren Farbkompositionen biomorphe Formen. Schließlich traten auch menschliche Körperteile und Figuren hervor. Eine spezifische Kunstfigur bildete sich heraus: der „Kopffüßler“. Sein Kopf, an dem die Arme befestigt sind, sitzt meist ohne Rumpf auf den Beinen. Mit ihm hatte Antes ein erstes Urbild gefunden, das daraufhin zwei Jahrzehnte seine Bilder bevölkerte und auf allen wichtigen Ausstellungen dieser Zeit – der Biennale in Venedig und drei documenta-Ausstellungen – präsentiert wurde. Der Kunstkritiker Donald Kuspit versteht Antes’ „Kopffüßler“ als „absoluten Gegenentwurf zu der realistischen und pseudo-robusten Nazi-Figur.“
Einerseits arbeitete Antes an einem Gegenentwurf zu dem Menschenbild, das ihm seit seiner Jugend in Süddeutschland vorgelebt wurde, andererseits war Antes stets an der Erfindung monumentaler, zeitloser Formen interessiert. Diese Suche führte den Künstler nicht nur zu seinem „Kopffüßler”, sondern ab 1986 auch zu den Hausbildern und drei Jahre später zu den Datumsbildern. Sowohl die Hausbilder als auch die Datumsbilder malt Antes heute immer noch.
In ihrer schlichten architektonischen Gestalt erinnern Antes’ Häuser an die „casa colonica“ – alte italienische Bauernhäuser in klassisch romanischer Bauform. Seit Mitte der 1990er Jahre lebt Antes im italienischen Sicellino, einem kleinen Tal, wo er solche einfach gebauten Häuser täglich sieht. Ohne Fenster und ohne Türen wirken Antes’ Häuser unbetretbar wie Tempel. Es existiert kein Übergang zwischen Innen und Außen. Obwohl Häuser oft als Symbol für Gemeinschaft und Wärme gelten, „baut“ Antes seine Häuser nicht, damit sie Schutz bieten. Vielmehr sind diese, genau wie die „Kopffüßler”, Kunstfiguren, abstrakte Zeichen ihrer selbst – monumentale, zeitlose Archetypen.
Häuser und Köpfe sind nicht nur das erste, das Kinder oft malen, beide Formen umschließen den Menschen – und seine Gedanken. Antes’ meist fenster- und türlose Häuser sind so unzugänglich wie die Stirn der Köpfe, hinter die man nicht sehen kann. Trotzdem spielt sich dahinter etwas ab, und die Gewissheit darüber, diese Lebendigkeit eines Werdens, entsteht bei Antes vorzugsweise durch seinen Umgang mit der Farbe, die – gemischt mit Sägemehl – sehr dicht erscheint. Zuweilen wirkt es, als ob es sich bei den bemalten Oberflächen nicht um Holz oder Leinen, sondern gar um eine Hauswand handeln würde. Die Malsubstanz tritt aufgrund der Reduziertheit der Formen zusätzlich in den Vordergrund.
Oft wählt Antes für seine Hausbilder die Farbe Schwarz. Trotz seiner Dichte führt das Schwarz nicht zu einer bleiernen Schwere, sondern es vibriert, verweist auf diese unsichtbare Lebendigkeit des Werdens im Innern. Der Lyriker Joachim Sartorius verortet Antes’ Behandlung der Farbe gar in einer kunsthistorischen Linie nach Malewitsch, Barnett Newman und Ad Reinhardt und begreift seine Bilder als die „nächsten Schritte in der Entwicklung der zeitgenössischen Malerei.“
Wir Menschen leben nicht nur in unseren Köpfen, unseren Häusern, sondern auch in der Zeit. Auch in Antes’ Datumsbildern sind die Formen einfach, während die malerische Substanz dicht ist. Tag für Tag schichtet Antes die arabischen Ziffern, mittels derer in Europa – in der Reihenfolge Tag, Monat, Jahr – das Datum angegeben wird. Dadurch entsteht ein „Matsch an Zahlen“ (Horst Antes), und das Entziffern der Daten ist nicht mehr möglich. Während Antes auf der Rückseite der Leinwände oder des Sperrholz, jeden Tag, den er malt, akribisch und gut lesbar auflistet, verschwimmen die Zahlen auf der Vorderseite mit der Zeit wie Erinnerungen.