(De) Augen und Haare. Aus riesigen Augen starren uns Anna Lea Huchts anthropomorphe Keramikplastiken an. Betrachten, wie andere Augen betrachten. Betrachten, wie Haare oder gar Felle in Huchts Aquarellen nicht nur auf der Haut von Menschen, Tieren oder andersgearteten Wesen wachsen, sondern auch auf der Epidermis von Pflanzen und der Oberfläche von Gegenständen.
In den cartoonartigen Bildern von William N. Copley gibt es weder Augen noch Haare – und wenn dann nur symbolisch, in Form von perückenartigen Tollen auf Frauenköpfen. Seine Zeichnungen und Gemälde erotischer Szenen sind bevölkert von gesichtslosen, anzugtragenden Männern mit Melone – einem halbkugelförmigen Filzhut mit Krempe – und üppigen, nackten Frauen, denen Copley in Chignon und Nu de Dos (beide 1965) seine Signatur CPLY („See-ply“ ausgesprochen) auf den kreisrunden Hintern klatscht.
Aufgrund seiner höchst eigenen, humorvollen Bildsprache zwischen Surrealismus und Pop-Art lässt sich Copleys Werk in keine Schublade stecken. Mit ihr erschafft er ein privatmythologisches Bilduniversum aus der Perspektive von Männeraugen, die auf Frauen schauen. Diesen Blick, male gaze genannt, stellt die Kunstgeschichte erst seit den 1970er Jahren in Frage. Huchts Keramikgefäße dagegen schauen in die physische Realität des Ausstellungsraums. Damit machen sie nicht nur Copleys Blick, sondern auch die Besuchenden selbst zum Gegenstand der Betrachtung. Ebenen der Beobachtung, ineinander gestapelt wie Matroschka-Puppen.
Huchts Aquarell Im Dampfbad (2023) zeigt die Rückansicht eines nackten Körpers, sitzend auf einer Marmorbank. Beim Anblick der Haut auf dem Stein könnte es einen frösteln, doch der Titel gibt an, dass es sich bei der Umgebung um ein warm- feuchtes Dampfbad handelt, links im Bild lassen sich Handtücher erahnen. Auch Jean-August-Dominique Ingres malte im späten 19. Jahrhundert nackte Körper in Dampfbädern. Allerdings zeigte er ausschließlich Frauenkörper, und diese stets mit unnatürlich glatter, weißer Porzellanhaut. Mit ihren felligen Wesen lässt Hucht die Grenzen zwischen Tier, Mensch, weiblich und männlich, Realität und Imagination verschwimmen. Haare stehen im Laufe des Lebens für Momente des Übergangs: In der Pubertät und im Alter wachsen sie an Stellen, wo man sie vorher nicht vermutet hätte. Nicht nur die extrem feinen, von Hucht in akribischer Detailarbeit gemalten Härchen, auch die relativ kleinen Formate fordern die Betrachtenden auf, näher an ihre Aquarelle heranzutreten. Es ist, als ob Huchts Bilder flüstern würden.
Man würde es sich leicht machen, zu behaupten, dass Copleys Arbeiten im Gegensatz zu Huchts Bildern schreien – aber flüstern, das tun sie sicher nicht. Bonbonbunt und lüstern entblößen seine durch markante Konturlinien bestimmten Werke die unterdrückten Sehnsüchte einer weißen, heterosexuellen, westlichen Mittelklasse. Copley war Zeit seines Lebens ein „artist’s artist“ – ein der Öffentlichkeit eher unbekannter, aber in der Szene beliebter Künstler. Als er mit 28 Jahren autodidaktisch zu malen begann, war er bereits Sammler, Schriftsteller, Verleger und Gönner, und gerade dabei, in Beverly Hills eine Galerie zu eröffnen, wo er Werke von Max Ernst, René Magritte, Man Ray, Roberto Matta und Yves Tanguy ausstellte. In seinem Text Porträt des Künstlers als junger Händler schrieb Copley über seine Galerietätigkeit: „Das südliche Kalifornien war im Jahre 1946 ein höchst ungeeigneter und sicher völlig überflüssiger Ort für die Verbreitung des Surrealismus.“ Verkauft hat er mit seinem Partner während der 12-monatigen Galerietätigkeit nur eine Handvoll Bilder. Gestört hat ihn das allerdings nicht. Mit den Surrealisten, die er zeigte, und deren Kunst er auch selbst sammelte, verbanden ihn enge Freundschaften, die auch Thema seiner Kunst waren: Marcel Duchamp und René Magritte widmete er die ausgestellte Arbeit Hommage à Magritte (1958). Wie Kasper König in einem Interview mit Stephanie Seidel sagte, betrachtete Copley Kunst als etwas, das nicht unbedingt der Kanonisierung bedarf. Stattdessen pflegte er einen nicht-akademischen Zugang zu ihr, und hatte vor allem Spaß daran, Kunst zu zeigen, zu kaufen, Künstler zu fördern und zu vernetzen.
Wahrscheinlich ist es die Liebe zum Ornament, das von den Kunsthistorikern Alois Riegl und Wilhelm Worringer als herausragende Form des „Kunstwollens“ definiert wurde, in der Hucht und Copley sich nahekommen. Allerdings aus einem jeweils völlig anderen Interesse. Während Hucht für ihre Bilder regelmäßig Antiquariate durchforstet, Designkataloge durchblättert, und sich für Objekte und Ornamente als Zeitzeugen und Ausdrucksformen einer spezifischen kulturellen Verfasstheit interessiert, dient Copley das Ornament in seinen Bildern entweder dazu, diese als Interieurszenen zu kennzeichnen, oder aber er verwendet das Ornament zur Standardisierung seiner Sujets, die er auf Basis eines modularen, immer wieder neu miteinander zu verbindenden Bildvokabulars formuliert. Bemerkenswert erscheint aus heutiger Sicht die Weise, in der Copley das flächig abstrakte Ornament mit der narrativen Gegenständlichkeit zusammenbringt. Bei Copley kommt das Ornament aus der Welt der Massenproduktion, aus der Sphäre der repetitiven Muster eines Andy Warhols, des Comics oder aus der Wärme eines beheizten Autoinneren. Bei Hucht hingegen entwickelt das Ornament, wie in dem Aquarell Curtain in transformation (2024), ein Eigenleben. Es zittert, es flattert, es bildet eine Zone des Übergangs zwischen Innen und Außen, es ist haarig. Der gemusterte Vorhang auf diesem Aquarell verdeckt, und gleichzeitig deutet er auf etwas hin. Etwas Dahinterliegendes? Nicht zwingend. Denn vielleicht müssen wir den Vorhang gar nicht zur Seite schieben, um etwas sehen zu können. Vielleicht ist der Übergang, den der Vorhang markiert und für den die Haare ein Symbol sind, eben genau das, was Hucht uns – und ihren beobachtenden Keramikgefäßen – zu sehen gibt. Als gäbe es nichts zu enthüllen.