(De) Für immer Baustelle
Zu Jan Zöllers It’s better to experience things, then to talk about them
Jan Zöllers Kunst spricht über die Notwendigkeit, anwesend, im Augenblick zu sein.
Er will, dass die Betrachter seiner Kunst im physischen Kontakt mit ihr, dem Raum, mit anderen Menschen sind, Gemeinschaft erfahren. Das sagt ja schon sein Ausstellungstitel, der wie die Faust aufs Auge in die Ära von Corona und Zoom-Meetings passt – in eine Zeit, in der alles, was nur geht, Arbeit, Kommunikation, Handel, Sex, digital erledigt wird. Zugleich klingt in der Absage an das Sprechen über Erfahrung so etwas wie ein Misstrauen gegenüber der Theorie an, vielleicht auch gegenüber den Akademien, der Sprache und der Kultur des Kunstestablishments. Zöller, der sich in seiner Arbeit schon immer ebenso Beuysisch wie Kippenbergerisch mit der Ökonomie der Kunstproduktion und der ambivalenten Rolle des Künstlers auseinandergesetzt hat, entwickelt in seinen jüngsten Gemälden eine erstaunlich nervöse, hektische Energie. Schon zuvor schienen die Formen und Figuren auf seinen Bildern damit beschäftigt, das Bild buchstäblich zu konstruieren, zu prüfen, was Arbeit, was Malerei, was Kunst, was Gemeinschaft ist.
In seinen Videos, Aktionen und Gemälden beschwört Zöller immer wieder die Idee einer fast freimaurerischen Bruderschaft, bei der Arbeit, Kunst und Ritual eins sind, in denen Konstruktionen und Architekturen auch Gedankengebäude sind, in denen sich Ideen, Freundschaft, soziale Beziehungen, Spiritualität manifestieren. Doch das Relaxte, beinahe Verkiffte der früheren Bilder ist verschwunden – die anarchischen Krähen, die sich in Badezimmern räkelten oder in diesen Brunnen badeten, die nicht ganz ohne Ironie an Rilkes berühmtes Gedicht Römische Fontänedenken ließen: „Zwei Becken, eins das andere übersteigend/ aus einem alten runden Marmorrand/ und aus dem oberen Wasser leis sich neigend/ zum Wasser, welches unten wartend stand…“ Diese an Eighties-Stadtmobiliar, an Bildungsbürgertum und Postmoderne erinnernden Brunnen standen für alle möglichen (ziemlich kaputten und unterbrochenen) Kreisläufe - von Geld, kreativer Energie, Kommunikation, Beziehungen, Werden und Vergehen. Und sie wurden beständig umgebaut, von den Krähen zweckentfremdet, umgeleitet, ausgeschlürft. Das hatte etwas Anarchisches, Utopisches, ein bisschen Besetzer-Bauhaus, wir bauen eine neue Welt. Schon damals hatten einige Brunnen Beine und liefen als Mensch-Brunnen-Hosen-Schuhe-Mix durch die Gegend. Es wurde bereits getanzt und gezündelt, Ketten wurde abgerissen, Hunde losgelassen. Mystische Feuerbälle, die bei Zöller immer wiederkehrenden „Spirit Fires“, krachten durch die Bilder oder brachen wie Lichtkegel durch die Dunkelheit, wie Vorzeichen einer kommenden, neuen Welt.
Doch It’s better to experience things, then to talk about them hat als Ausstellung etwas Erwachseneres, Endzeitliches - fast wie in Lars von Triers Film Melancholia (2011), in dem der riesige, titelgebende Planet droht, mit der Erde zu kollidieren. Die nahende Apokalypse löst eine psychedelische Unruhe aus. Die Protagonisten verfolgen die Flugbahn, haben Träume, beobachten vom Himmel fallende Vögel, versuchen, sich mit allen Mitteln in Sicherheit zu bringen oder sich so offen wie möglich mit der Situation zu konfrontieren. In Zöllers Bilderkosmos passiert etwas Ähnliches. Loosing Coins, running fast (2020) heißt eines der größten Gemälde in der Ausstellung, in dem drei Brunnen-Künstler-vollgekleckerte-Blaumann-Wesen ineinander krachen, wie beim Fußball hochspringen, knien, kicken oder Münzen aus ihren Hosentaschen kullern lassen.
Zöller erschafft auch in seinen Skulpturen so etwas wie ein hypernervöses Achtsamkeits-Kung-Fu-Ballett, in dem sich die Auflösung der alten Welt und der Wille zur Schaffung einer neuen in einer fragilen Balance halten.
Immer stärker wird die performative, choreografische Qualität in Zöllers Malerei spürbar, die Sensibilität und ungeheure Feinheit, mit der seine eigentlich flach gemalten, reduzierten Bilder mit wenigen Linien und Gesten Bewegung und Tiefe erzeugen. Die Bewegung der Hosenbeine und des hinterher geschleiften Vorschlaghammers auf It’s not possible to walk (work) forever (2020) oszilliert zwischen spielerischer Entschlossenheit und Erschöpfung, vielleicht wird zum Schlag ausgeholt oder auch der Hammer einfach fallengelassen. Die tänzerische Figur, die sich auf Balancing on two unfinished sculptures (2020) fast schwebend über einen Abgrund bewegt, die drei wie konstruktivistische Zimmermänner anmutenden Gestalten, die auf Empty Pockets (2020) sehr grazil Geld aus den Hosentaschen einer vierten Figur schütteln, wirken wie die Protagonisten in einem Musical. Und so kann man auch die von Zöller und seinen Freunden gebaute Ausstellungsarchitektur wie eine Bühne begreifen, in der die Besucher genauso Teil der Inszenierung sind wie die Kunstwerke. Inspiriert wurde die aus Styroporblöcken eingebaute Wand von Baustellen, an denen Zöller als Schüler vorbeilief, und den noch freiliegenden Isolierungen, in die Jugendliche alle möglichen Botschaften einritzten. Auch die Besucher der Ausstellung können sich auf der Styroporwand verewigen, ein Lebenszeichen, eine flüchtige Markierung in der Zeit hinterlassen.
Zu der Ausstellung gehört auch das Ritual des Aufbaus der Wand mit Zöllers Freunden, einer festen Gruppe, die immer an seinen Projekten beteiligt ist. Alte Freunde und befreundete Künstlerkollege, handwerklich sind sie Autodidakten. Für Zöller ist auch der Geldtransfer entscheidend, es ist wichtig, sie ökonomisch, aber auch spirituell in seine Arbeit einzubinden. Der Akt des Aufbaus ist immer improvisiert, man lernt gemeinsam im Prozess, macht tatsächlich eine Erfahrung, anstatt über Erfahrungen zu sprechen. Ein Leitmotiv in Zöllers Kunst ist der Arbeiter, der Blaumann, der Handwerker – auf den ersten Blick ein demokratisches, proletarisches, anti-dekadentes Gegenbild zum sensiblen, genialischen Künstler, der alleine in seinem Atelier arbeitet. Die Körper in Zöllers Kunst sind immer männlich, immer schaffend. Doch diesem Anpackenden, Männlichen steht etwas sehr Zerbrechliches gegenüber. So wurden die Formen für die in Aluminium gegossenen Skulpturen Forever under construction (2020) aus den Pappverpackungen von Leinwänden zusammengebastelt, ebenso improvisiert wie die Styroporwand. Auf den Alu-Skulpturen sieht man dann auch die Abdrücke des Klebebands und die Schnittkanten der Pappe.
In Zöllers künstlerischem Kosmos ist alles für immer „under construction“, die Vorstellungen von Modernität und gesellschaftlichem Fortschritt ebenso wie die Repräsentationen und Rollen von Männlichkeit. Waren frühere Werke verspielter und ironischer, geht es hier noch viel mehr um Verletzlichkeit, um die Frage, wie wir durchkommen, bewusst diese schwierige Zeit durchschreiten. Die Nervosität in It’s better to experience things, then to talk about them ist eigentlich Dringlichkeit, die Aufforderung, sich mit einer wackeligen, ungewissen, zusammen improvisierten Gegenwart auseinanderzusetzten, sich nicht zu entziehen, zu versuchen, offener mit Krisen umzugehen. Tatsächlich ist die Erfahrung, auf die Zöller anspielt, eine innere, visionäre. Eines der Kunstwerke ist ein in einen selbst geschweißten Metallrahmen eigesetztes Glasfenster, das Zöller in einen Durchgang montiert hat, durch das man in den Ausstellungsraum sieht. Darin eingeritzt der Satz aus einem Gedicht von Zöllers Freund Nikolas Knipping, mit dem er auch gerade an einem Buch arbeitet: „Will ich nichts verpassen, schließe ich die Augen.“
Text: Oliver Koerner von Gusto