Eröffnung: Freitag, 10. Juni 2022, 7-10 Uhr

Meyer Riegger freut sich, die erste Einzelausstellung der Schweizer Künstlerin und Gewinnerin des Schweizer Grand Prix Kunst | Prix Meret Oppenheim 2022 Caroline Bachmann in Karlsruhe zu präsentieren. Bachmanns Werk umfasst verschiedene Ausdrucksformen, zu denen auch Malerei zählt.

Bei ihrer Ausstellung bei Meyer Riegger zeigt Bachmann eine einzige großformatige Malerei mit dem Titel Le matin, 2022. Das zwölfteilige Panorama bildet einen 360-Grad-Blick von einem Berggipfel in den frühen Morgenmorgenstunden ab. Im Osten geht die Sonne auf, während im Westen noch der Halbmond am Morgenhimmel zu sehen ist. Bei dem Gipfel handelt es sich um den Napf, ein in gewisserweise seltsamer Berg, denn er steht allein und isoliert in einer Hochebene vor den Alpen – eine geografische Besonderheit, aufgrund derer es an einem klaren Tag möglich ist, einen perfekten Blick auf die Landschaft mit der Jungfrau, dem Stockhorn und anderen berühmten Schweizer Bergen zu bekommen. Das Bild zeigt einen bestimmten Moment: einen Morgen im März 2020. Bachmann hegte lange den Wunsch, den Napf zu besteigen und mit ihrem Partner Stefan Banz in einer Hütte zu übernachten. In dieser Nacht wachte Bachmann um 3 Uhr morgens auf, um die Aussicht in den frühen Stunden des Morgens (Le matin) einzufangen.

Bachmanns Sujet – die Schweizer Landschaft – kann in gewissem Sinne als Zeugnis für die anhaltende Auseinandersetzung des Landes mit seiner eigenen Topografie in seiner visuellen Kultur gesehen werden. Von den symbolistischen Landschaftsbildern Giovanni Segantinis und Ferdinand Hodlers der Jahrhundertwende bis zu den heutigen Tourismuskampagnen oder der Werbung für Schokolade und Käse sind Bilder der Schweizer Landschaft in der Schweiz allgegenwärtig. Auch wenn dieser visuelle Kontext nicht zu leugnen ist, kann und sollte Bachmanns Arbeit nicht auf eine einfache Fortsetzung des Vorangegangenen reduziert werden. Ihre Herangehensweise an das Thema ist sowohl visuell als auch konzeptionell eine ganz andere. Bachmann hat kein Interesse daran, die materielle Realität abzubilden; für sie sind die Berge ein Symbol für etwas, das es zu überwinden gilt. Sie sind eine Barriere, hinter die man seinen Geist werfen kann, so ihre Worte. Berge laden dazu ein, sich vorzustellen, was auf der anderen Seite ist, und geben einem die Möglichkeit, über sie hinaus zu gehen. Ein Berg und der Napf im Speziellen kann als Grenzbereich, als Ort der Begegnung und der Reibung betrachtet werden. Der Napf liegt zwischen den zwei Kantonen Bern und Luzern, der eine protestantisch, der andere katholisch. Zwei Welten, in denen die Menschen ein unterschiedliches Leben führen mit unterschiedlichen Sitten und Bräuchen, was sich laut Bachmann auch anhand des Vorkommens verschiedener Kartenspiele zeigt. Im Falle des Napfs ist der Berg eine Trennlinie zwischen verschiedenen Orten und Lebensweisen.

Und während viele ihrer berühmten Schweizer Vorfahren wie Segantini schwere Leinwände auf die Berge schleppten, um in der Natur zu malen, weil sie glaubten, dass die Malerei en plein air die einzige Möglichkeit sei, die Welt um sie herum einzufangen – eine Praxis, die dazu führte, dass Segantini tödlich verunglückte, während er an einem seiner alpinen Triptychen arbeitete –, unterscheidet sich Bachmanns Arbeitsweise von Natur aus. In gewisser Weise ähnelt ihr Ansatz eher dem eines Wissenschaftlers oder Naturforschers; Bachmann beobachtet, skizziert und notiert, hält geologische Anordnungen, Wolkenformationen, Farben und das Wettergeschehen fest und kehrt mit diesem Material in ihr Atelier zurück, wo sie diese Details im Laufe von Monaten - oder wie im Fall von Le matin in zwei Jahren - langsam in Bilder umsetzt. Es geht allerdings nicht darum, diese Notizen in eine Art großformatige Wiedergabe ihrer Skizzen à la Malen-nach-Zahlen zu verwandeln. Bachmann erschafft keine einfache Darstellung der Landschaft, und Genauigkeit ist nicht das Ziel. Die Künstlerin hält mit ihren Skizzen und Notizen die Essenz dieser erlebten Momente fest, und die Bilder, die sie schafft, fangen wiederum die Essenz der Berge und dieser Landschaft ein. Ihre Bilder sind Momente der Realität und des Lebens, und ein Bewusstmachen unserer Existenz.

Es gibt noch ein weiteres Element in Bachmanns Werk, das im Zusammenhang mit diesen Arbeiten hervorgehoben werden muss. Durch die Wahl ihrer Sujets und Materialien stellt Bachmann bewusst die überkommene Haltung infrage, wonach die prestigeträchtigsten Sujets der Malerei – entsprechend der Hierarchie der Genres Historien-, Porträt- und Landschaftsmalerei – Männern vorbehalten waren. Diese Genres wurden in der Regel in Öl gemalt und galten angesichts der erforderlichen Größe der Werke und der Bedeutung ihrer Themen als nur für männliche Maler geeignet. Künstlerinnen, denen lange der Zugang zu Kunsthochschulen verweigert wurde, wurden stattdessen zu Techniken und Themen wie Aquarell oder Blumenmalerei gedrängt, die historisch als einfacher und weniger erhaben galten.

Bachmanns Malerei und ihre Methode sind eine Entscheidung, die weibliche Malerei von einer kleinen, diskreten und hübschen Applikation wegzuführen. Alles von der Wahl ihrer Themen bis hin zu ihrer Entscheidung, mit Ölfarben zu arbeiten und ein großes Atelier zu betreiben, in dem sie großformatige Bilder herstellt, ist eine feministische Neuschreibung der Kunstgeschichte. Und was könnte die Fähigkeit von Künstlerinnen, die großen Gattungen und Themen der Kunstgeschichte triumphal anzugehen, besser demonstrieren als ein Polyptychon-Panorama der erhabenen Aussicht auf die Schweizer Landschaft?

Die Preisverleihung des Prix Meret Oppenheim 2022 findet am 13. Juni 2022 auf der Art Basel statt, wo Caroline Bachmann den Preis entgegennehmen wird.

Text: Lincoln Dexter
Übersetzung: Sebastian Schneider

Fotos: Heinz Pelz