(De) Für ihre Rhein-Serie unternahm Caroline Bachmann zwei Reisen entlang des Flusses. Eine kurze und eine etwas längere. Letztere führte sie mit dem Schiff in acht Tagen im Oktober 2023 über den Rhein von Basel nach Rotterdam. Zwei Monate darauf fuhr sie mit dem Auto knapp vier Stunden von ihrem Wohnort Cully am Genfer See, nach Reichenau im Schweizer Kanton Graubünden, wo Vorder- und Hinterrhein zusammenfließen, um den Geburtsort des Alpenrheins zu besichtigen. Beginnt man den Ausstellungsrundgang im ersten Stock der Galerie Meyer Riegger und geht dann hinunter ins Erdgeschoss, folgt man dem Flusslauf von Reichenau bis nach Rotterdam.
Als ob man durch das Bullauge eines Schiffs, durch ein Teleskop oder ein Schlüsselloch schauen würde, fasst Bachmann ihre Darstellungen des Rheins in runde Rahmen. Eines der berühmtesten Rundbilder ist Michelangelo Buonarrotis Tondo Doni (1505/1506). Das Porträt der heiligen Familie in den Florentiner Uffizien. Wie Michelangelo malt Bachmann auf Holz. Der Durchmesser ihrer Arbeiten beträgt genau die Hälfte des Gemäldes aus der italienischen Renaissance – 60 Zentimeter. Während sich die Landschaft bei Michelangelo im Hintergrund nur erahnen lässt, bestehen Bachmanns Bildern nur noch aus Landschaft. Das an sich ist nichts Neues. Und die Entscheidung, in den 2000ern mit der Landschaftsmalerei zu beginnen, so wie Bachmann sie damals fällte, erforderte sicherlich Mut. Stellt sich doch die Frage, was sich dieser kunsthistorischen Gattung überhaupt noch hinzufügen lassen könnte.
24 Ansichten des Rheins sind gar nicht viel, vergleicht man diese Zahl mit der Menge der Bilder des Genfer Sees, die Bachmann bis heute gemalt hat. Vor zwölf Jahren begann die Künstlerin den See in der Morgendämmerung zu porträtieren. Obwohl es sich jedes Mal um dieselbe Landschaft handelt – die Berge, die Wasseroberfläche, der Himmel – ist jedes Bild einzigartig. Tatsächlich führt die Wiederholung des Motivs für Bachmann zu einem Paradox: Je öfter sie dasselbe Motiv malt, desto weniger hat sie den Eindruck, den Ort zu kennen, und umso interessanter scheint es ihr, ihn zu entdecken.
Während Bachmann die Skizzen für ihre Gemälde des Genfer Sees stets vom selben Standpunkt aus in Cully anfertigt, zeigt die Rhein-Serie den Flusslauf aus unterschiedlichen Perspektiven. Mal wirkt der Rhein wie ein Rinnsal, mal schlängelt er sich seinen Weg zwischen Felsen hindurch, mal tost er, meist aber fließt er ruhig und meditativ vor sich hin.
Bachmanns Arbeitsweise bleibt trotzdem stets dieselbe: Zunächst fertigt sie in der Natur schnelle Skizzen mit dem Bleistift an, und notiert sich die Farben und Elemente. Während ihrer Rheinfahrten entstanden so um die 100 Skizzen, aus denen sie 24 auswählte und im Studio in Cully in Malereien umsetzte. Während Landschaftsmaler wie Ferdinand Hodler oder Giovanni Segantini stets pleinair, also unter freiem Himmel malten, begibt sich Bachmann lieber in ihre „Höhle“, wie sie ihr Atelier nennt. Diese Trennung von der originären Naturerfahrung – das Arbeiten im artifiziellen Licht ohne direkte Sicht auf die Landschaft – ist essenziell für Bachmanns Malprozess, der ein sehr langsamer ist.
Diese Arbeitsweise führt dazu, dass ihre Bilder sich aus unterschiedlichen Erfahrungen von Zeit speisen: Die Schnelligkeit der Skizze wird abgelöst durch den langwierigen Prozess des Malens, während dem die Künstlerin die spontane Naturerfahrung, die sie während des Skizzierens hatte, langsam wieder auferstehen lässt. Mit dieser Arbeitsweise, die den Fokus auf die Überlagerung unterschiedlicher Zeitebenen legt, hat Bachmann der Geschichte der Landschaftsmalerei schließlich doch noch etwas hinzuzufügen:
Bachmanns Bilder entstehen stets zyklisch in Gruppen. Über Zeiträume von mehreren Monaten malt sie an bis zu zehn Bildern gleichzeitig. Während eine Schicht trocknet, wendet sie sich einem anderen Bild zu. Ihr Farbauftrag ist extrem dünn. Sie benutzt sehr feine Pinsel, deren Spuren auf den Bildern kaum noch zu sehen sind. Die kurze Phase des Skizzierens, die dem langen Malprozess vorangeht, vergleicht Bachmann mit dem Fischen. Sie wartet ab, und sobald sie etwas Interessantes sieht, geht es ganz schnell. Dadurch, dass Bachmann während des Malprozesses eine Verbindung mit den Empfindungen herstellt, die sie zum Zeitpunkt des Skizzierens verspürt hat, zeigen ihre Bilder weniger eine naturalistische Realität, als das (Wieder-)erleben ihrer individuellen Wahrnehmung. Bachmann beschreibt den Prozess des Malens, des Trocknens und des Abwartens, bis sie eine neue Schicht hinzufügt, als eine Art Sedimentation: „Wenn ich male, vermischen sich die Dinge, und dann ist es, wie wenn sie sich absetzen würden.”
Mit ihren Bildern ermöglicht Bachmann somit auch uns Betrachtenden eine andere Erfahrung von Zeit. Entgegen ihres linearen Laufs, der Abfolge der 24 Stunden eines Tages, schafft Bachmann mit ihren Gemälden Verbindungen in der Zeit, die nicht chronologisch sind. Sie sagt: „Wenn der Vorgang gelingt, ist es, als würde die Malerei den Raum und die Zeit auflösen und uns, die wir ihr gegenüberstehen, dazu einladen, allen diesen Zeiten anzugehören, und zwar gleichzeitig.”
Bachmanns Bilder bewahren eine Empfindung. Und vielleicht äußert sich in ihren Bildern und der Zeit, die sie ihnen widmet, auch ihr Respekt vor der Landschaft. Ein Respekt, den Menschen schon lange verloren haben: Der Rhein beispielsweise wurde bereits Anfang des 19. Jahrhunderts begradigt. Seine mäandernden Läufe wurden reguliert, und insgesamt zwängte man den Fluss in ein engeres Bett. Und das natürlich nicht, weil es von Vorteil für die Natur wäre. Man wollte klare Grenzen, den Fluss schiffbar machen, Überschwemmungen vermeiden, und den Strom des Wassers als Ressource nutzen.
Statt sie nutzbar zu machen, konserviert Bachmann diese Energie des Rheins. Das leuchtende Orange am Bildrand flackert so kraftvoll, als wäre es kurz davor zu bersten. Der Rahmen – der zwar nicht rund, aber in rechteckiger Form auch auf ihren Bildern des Genfer Sees auftaucht – „verhindert, dass die Energie überläuft, er hält sie fest und lässt sie zwischen dem Bild und mir zirkulieren. Die Zeit, die darin steckt, macht das Bild aus.“ Nehmen wir uns für die Betrachtung Zeit – im Museum verbringt man durchschnittlich nur 15 Sekunden vor einem Bild – dann können wir vielleicht die Intensität dieser Naturerfahrung nachempfinden.