Wir freuen uns, in unseren Galerieräumen in Berlin und Karlsruhe eine Auswahl an Kohlezeichnungen, Ölbildern, Aquarellen wie auch Super-8-Filmen der Schweizer Künstlerin Miriam Cahn zu zeigen. Die retrospektiv angelegte Ausstellung vereint Arbeiten aus verschiedenen Werkphasen aus einer Zeitspanne der frühen 1980er Jahren bis heute, welche Cahn unter Einbezug der unterschiedlichen Raumsituationen in dafür spezifisch entwickelten Raumkonzepten in Korrespondenz zueinander stellt.
Während die Schauräume in Berlin in einer offenen, sich stufenweise verdichteten Hängung – und damit als fortlaufender Erzählstrang – konzipiert sind, werden in unserer Karlsruher Galerie durch Umbauten drei in sich geschlossene Räume entstehen, welche durch das Arrangement der Bilder – als Horizontale, im Cluster, sowie in einer chronologischen Folge – wie auch durch ihre inhaltliche Ausrichtung, eine Binnenstruktur innerhalb der gesamten Ausstellung an beiden Orten heraus bilden.

Miriam Cahns Bilder entstehen als direkte Reflexion auf eine erlebte Situation oder auf einen gegenwärtigen Zustand, sind darüber hinaus aber auch abhängig vom eigenen Zyklus der Künstlerin und damit dem Frausein als solchem abgeleitet, welches sich in einer Geste des Zwiespalts und dem von Kontrolle entbundenen Handeln ausdrückt. So sind einige Arbeiten Cahns mit dem Kürzel “bl.arb” (’Blutungsarbeit’) versehen und vereisen explizit auf ein physisches, wie auch psychisches Befinden, welches die Differenz zwischen weiblich und männlich Gefühltem aus einer existenzialistischen Perspektive darstellt.

Das Performative ist in Miriam Cahns Arbeiten ebenso geltend, wie die eigene Körperlichkeit, mit welcher ihre Arbeiten entstehen. Der Körper ist dabei nicht nur Gegenstand der Betrachtung, sondern auch Medium, mit welchem die von der Künstlerin erzeugten Körperbilder dargestellt werden. Arbeiten aus der Werkserie L.I.S. (Lesen in Staub), wie auch M.G.A. (Mit geschlossenen Augen), sind so aus einer unmittelbaren Perzeption des Materials und einem inneren Eindruck entstanden: gleich einer Performance, schabt Cahn dabei einen Kreideblock zu Staub, und formt daraus eine lose Anhäufung aus Pigmenten, welche sie im Akt des Zeichnens mit dem ganzen Körper – teilweise mit geschlossenen Augen – dem Papier als Abdruck (der Seele) einverleibt.
Äußere Einflüsse, wie Krieg und Gewalt, finden als Reflexion in Bildern wie A-+ H-Tests Ausdruck. Angelegt als Aquarell, welches durch den Wurf von Wasser und Farbpigmenten auf die Leinwand entsteht, zeichnet der transluzide Farbverlauf aus persönlicher Sicht die Auswirkung von Atom- und Wasserstoffbombentests nach, welche die Künstlerin auf diese Weise in das Medium Malerei überführt.

Fließend ist dabei auch Cahns Arbeitsweise, die zumeist in Form eines Tageswerks innerhalb weniger Stunden als prozessualer, von absoluter Konzentration getragener Vorgang (in der Weise: Eintauchen, Ausführen, Auftauchen) vollzogen wird. Mit einem expressiven Malgestus wird dabei ein sehr direkter Impuls von der Künstlerin in surrealistisch-assoziativer Weise veräußerlicht.

Das genaue Beobachten und Verfolgen ihrer Umwelt wird hingegen in Miriam Cahns Filmen deutlich, in welchen sie entweder Tieren mit der Kamera nachgeht, oder die Eigenbewegung einer Landschaft (Tiere, Pflanzen, Wasser oder Wetter) als Ausschnitt für einen definierten Zeitraum von je drei Minuten festhält. Einen vorüber ziehenden Bewegungsablauf als Augenblick einzufangen, wie auch jene Blicke der Außenwelt aufzunehmen und dem Betrachtenden ihrer Arbeit durch einen privaten Filter entgegen zu richten, ist dabei markant in Cahns Bildräumen. Analogien oder Verwandtschaften zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen werden dabei als Figuration oder als Übertragung des Wesenhaften festgehalten, und zu einer körperhaften Erinnerung wie in Miriam Cahns Ölmalerei modelliert. Die Künstlerin formt dabei Gesehenes als Vorstellung in einem dem Abbild adäquaten Medium nach, welches ihre eigene Sicht auf die Dinge transferiert und betont.

Miriam Cahn arbeitet so mit Malerei, Zeichnung, Performance, Film, Fotografie, wie auch Musik, welche sie im Raum in Beziehung zueinander setzt. Durch Zuordnung ihrer Arbeiten in verschiedene Werkgruppen, erstellt sie dabei nicht nur einen privaten Index, welcher die Bilder in Zyklen unterteilt, sondern markiert auch direkte Positionen, die im Ganzen – und so vor allem in der Hängung – als autonome Bildwerke miteinander korrespondieren. Cahn hat für die in unserer gesamten Galerie gezeigten Arbeiten – in Anlehnung an ihren deutsch-jüdischen Vater – ein energetisches, von Dialektik geprägtes Raumkonzept vorgesehen. Die Ausstellung ist damit nicht nur als autobiografischer Rückblick zu betrachten. Der direkte Einbezug aktueller Gesellschaftsverhältnisse – wie die Auseinandersetzung mit der Feminismus-Bewegung seit den 1970er Jahren, die Verarbeitung des Golfkriegs oder die Darstellung von Terrorismus –, lässt Miriam Cahns Werk auch als ein Zeugnis sozio-politischer Entwicklungen erscheinen, die aus persönlicher Sicht in ihren Bildern unmittelbar ausgesprochen und zur Diskussion gestellt werden.

Christina Irrgang