(De) Wir freuen uns, mit Modern Times die erste Einzelausstellung des Malers Gustav Kluge in unserer Galerie vorstellen zu dürfen.
Der Künstler umkreist in seiner inszenierten Portraitmalerei Gegensätzlichkeiten und Widersprüche, die sich im Überlagern von Räumen und Situationen, sowie im Verfremden menschlicher Züge als konstruktive Brüche entäußern, und auf subtile Weise Charakteristika der zeitgenössischen Gesellschaft nachzeichnen. Gestik sowie Mimik sind in Kluges Malerei konstitutiv, welche dem jeweiligen Protagonisten der zumeist großformatigen Portraits als narratives Element inne wohnen. Der Maler arbeitet dabei mit einer ikonografischen Bildsprache, welche die jeweils dargestellte Figur in einen übergeordneten Kontext – ähnlich einer Milieustudie – einbettet. Gustav Kluge malt in einer gestisch-expressiven Weise, bei welcher die Farbe (analog zur Sprache) einen autonomen Gegenstand heraus bildet und der von ihm bildnerisch (nach)erzählten Geschichte einen gegenständlichen Korpus verleiht: Farbe ist hier Material und Bild zugleich. In Kluges Duktus bildet die Farbsubstanz nicht nur eine Ansicht heraus, sondern formt durch deren reliefartigen Auftrag den Gegenstand im Gemälde zu einem nahezu halbplastischen Bildnis. Der Künstler spachtelt, zieht, streicht und tupft die Ölfarbe mit verschiedenen Instrumenten und generiert damit differenzierte Bildoberflächen, die zwischen absoluter Glätte und voluminös-poröser, aus dem Bild hinauswachsenden Farbschichten changieren. Gustav Kluges Malweise bewegt sich hiermit zwischen dem Erzeugen einer Patina, und dem Aufbruch dieser durch einen spontanen, gestischen Pinselstrich der Primamalerei.
In der Ausstellung Modern Times vereint der Künstler unterschiedliche Portraitstudien und Interieurszenen, welche als Reflexion auf die Auswirkung der Moderne zu betrachten sind. Das Gemälde Modern Times (Portrait Peter Weibel) ist dabei als Spiegel einer gesellschaftspolitischen Liberalisierung konzipiert: der Porträtierte – der Künstler und Medientheoretiker Peter Weibel – tritt aus einem in einen Raum gespannten, mit Aufdruck versehenen Vorhang hervor. Die Vorlage der darauf sich abzeichnenden Figuren ist eine dokumentarische Fotografie, welche im Rahmen der Unruhen der Pariser Kommune von 1870/71 entstanden ist. Das Abbild zeigt zehn in Särgen aufgereihte und nummerierte Tote, welche bei den Barrikadekämpfen im Rahmen der „Blutigen Maiwoche“ von Regierungssoldaten erschossen wurden. Kluge hat diese Fotografie in seinem Bild als gespiegeltes Motiv, sowie als positives und negatives Schwarz-Weiß-Bild übertragen. Das verbleibende Dokument der Toten besteht dabei als Zeugnis eines revolutionären Gestus, welcher sich mit den Handlungen der Pariser Kommune als sozialgeschichtlicher Wendepunkt niedergeschlagen hat und als Sinnbild für den Anbeginn der Moderne besteht. Es ist wiederum die Fortentwicklung der Moderne, welche durch die Figur Peter Weibel in dem Bild veräußerlicht wird. Spiegelung, Serialität und das Minimale der Handlungsgeste verweisen dabei auf die Begründung eines neuen, medialen Zeitalters, in dem das Verhältnis von Medium und Wirklichkeitskonstruktion erörtert wird, als auch der Körper und dessen bildhafte Sprache als Medium selbst erscheint.
Die Durchdringung von Konstruktion und Dekonstruktion wird in dem Bild Altes Tier (Portrait John Bock) umrissen. Das Gemälde gibt den Blick in eine halboffene Raumsituation frei, welche den Aktionskünstler John Bock neben einem fossilen Flusspferd zeigt. Die Szene changiert zwischen Verortbarkeit und Aufbruch des Raumes – das Körperliche, wie auch Handlung, wird hierin bis zum Zerfall konterkariert, welcher sich letztlich in der differenzierten Oberflächenstruktur der einzelnen Figuren veräußerlicht.
Mit De Dulle Griet umkreist der Künstler die Ästhetisierung des Selbst, welche er als das Abstruse und Groteske in seiner Malerei festhält und persifliert. Das Gemälde, dessen Titel der Künstler von einem von Pieter Breughel gemalten Bild entlehnt hat, zeigt eine modifizierte Darstellung des Breughelschen Bildsujets der „verrückten Frau“, welches von Kluge durch eine Ansicht des Musikers Michael Jackson, wie auch um ein Abbild einer Skulptur des Performancekünstlers Paul McCarthy erweitert wurde, bei welchem jener seinen Körper in einem destruktiven Schöpfungsakt zu einer Selbst-Plastik mortifiziert hatte. Das Aufflammen eines inneren Wunschbildes, wie auch das Verdecken von einem unausgesprochenen Verlangen wird in Gustav Kluges Malerei dabei oftmals auf subtil-konkrete Weise umschrieben.
Eines seiner frühen Gemälde – Nachbild (Pyromane) – skizziert so ein schmales, mit großem Helm bekleidetes Geschöpf, welches mit brennenden Zündhölzern agierend im Abbild des Brandstifters das Bild des Selbst deformiert. Das nachträglich Sichtbare, wie auch das als Erinnerung Verbleibende, bildet ein wiederkehrendes Sujet, welches Kluge in differenzierter Weise malerisch artikuliert. Im Aufgreifen einer durch die Historie überlieferte Geschichte beispielsweise, wie es im Bild Penelope mit der mythologische Sage um Odysseus treue Ehefrau darstellt ist, zieht Gustav Kluge einen Rahmen in den vom Künstler aufgestellten, narrativen Kontexten.
Der Zyklus Women Under the Influence thematisiert schließlich die Präsenz von latenter, psychischer Gewalt. In 24 Portraits von Frauengesichtern, deren Vorlagen Kluge aus Illustrierten zusammen getragen hat, durchdringen sich Abbilder von unbekannten Menschen, popkulturellen Ikonen, sowie aus der Kunsthistorie überlieferten Bildnissen. Arrangiert in einem sich über zwei Wände erstreckenden Tableau (aus drei mal vier und drei mal drei Ansichten), bewegt sich diese Bildtypologie zwischen Individualität und Austauschbarkeit des einzelnen Charakters, der sich im Wiederholen von Gesichtsausdrücken, und dem Überblenden des Persönlichen durch eine farbliche Umkehrung des Bildes ins Negative, letztlich als Maskerade auflöst. Der Titel, welcher an einen Film von John Cassavetes angelehnt ist, verweist dabei auf das Einnehmen einer Rolle, welche Kluge im Verfremden der Personen als Bruch in den jeweiligen Konterfeien verdeutlicht. Durch Reflexion und Verzerrung bestimmter Bildmotive geht Gustav Kluges Malerei hierbei in einem bildnerisch-performativen Akt solchen Sujets nach, welche aktuelle Antagonismen beleuchten, und als Entzifferung der modernen Gesellschaft in seinen Portraits bestehen.
Christina Irrgang