(De) Zu den wesentlichen Interessen des Künstlers John Miller gehört die Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung und dem Verständnis von Kunst sowie mit den heutigen Bedingungen ihrer Produktion und ihres Konsums. In seinen Werken beschäftigt er sich dabei häufig mit dem öffentlichen Raum, insbesondere mit den dort vorherrschenden Repräsentationsformen, die der Darstellung und Regulierung unterschiedlicher Identitäten dienen. Seit den Anfängen seiner künstlerischen Praxis verwendet Miller braune Farbe, Gold und Obstsorten als allegorische Tropen. Fototapeten, Globen, Fotos, Litfaßsäulen, als shaped paintings dargestellte PassantInnen sowie konventionelle Landschaftsbilder, Reality-TV-Sendungen und Gameshows sind bevorzugte Versatzstücke und Sujets. Nicht zuletzt stellen Schaufensterpuppen ein weiteres, häufig wiederkehrendes Gestaltungselement dar, das der Künstler als scheinbare Form der Wirklichkeit adaptiert. Gerade diese Figuren und der damit verbundene Themenkomplex stehen im Mittelpunkt der aktuellen Ausstellung Other Subjectivities, die parallel in der Galerie Meyer Riegger und einem temporären Ausstellungsraum der Galerie Barbara Weiss zu sehen ist.
Während bei Barbara Weiss zwei Videos – „What Is a Subject?” (2019) und „Deus ex Machina” (2019) – vorgeführt werden, wird in der Galerie Meyer Riegger das Video „A Place Called Hope” (2019) zusammen mit einer Installation und großformatigen Fotografien von Schaufensterpuppen gezeigt. Filme und Fotos gleichermaßen bewegen sich sowohl in Scheinwelten als auch in unserer Realität. Für John Miller sind Schaufensterpuppen lediglich anthropomorphisierte Verkaufsdisplays, die einen mitunter besorgniserregenden Grad an Identifikation hervorrufen. Statt das Exotisch-Fremdartige darstellen zu wollen, verschreibt sich Miller eher normativen Stilen und Szenarien. So präsentiert er emotionslose Surrogate als Projektionsflächen für die Assoziationen, die wir als BetrachterInnen wie auch als KonsumentInnen unmittelbar mit flüchtig-vergänglichen Trends und Moden verbinden. Diese Projektionen sind nicht nur populärkulturell geprägt, sondern sind auch geeignet, die aktuelle Lage der Kunstwelt innerhalb der Populärkultur zu verorten.
Das Werk „Poverty“ [Armut] (2018) zeigt die Schaufensterfigur eines Jungen, der einen weißen Dreiteiler trägt. Um den Hals des Jungen hängt ein Medaillon, zu seinen Füßen liegt eine deutschsprachige Fassung des Situationistischen Manifests „Über das Elend im Studentenmilieu – betrachtet unter seinen ökonomischen, politischen, sexuellen und besonders intellektuellen Aspekten und über einige Mittel, diesen abzuhelfen“ (1966). Auch der Titel der Installation „Dress Rehearsal for the Revolution“ [Generalprobe für die Revolution] (1966) nimmt Bezug auf das – reelle oder bloß eingebildete – politische Mobilisierungspotential der Jugendkultur. Als ‚The Revolution‘ trat einerseits die vom Sänger Prince gegründete Band auf, Miller spielt hier aber möglicherweise auf jegliche Art von Revolution an. Die Installation selbst besteht aus fünf Schaufensterpuppen, die als schematische Rock-Band aufgestellt sind. Da die Musik sowohl für Miller persönlich als auch in seinem Gesamtwerk eine wesentliche Rolle gespielt hat, könnte es sein, dass er hier eine Fantasievorstellung präsentiert, mit der er sich selbst identifiziert. Wie dem auch sei: Die starre, aber vermenschlichte Figurenkonstellation dient dazu, die Blicke der erwartungsvollen BetrachterInnen einerseits zu erwidern, andererseits aber auch in neue Bahnen zu lenken.
Ergänzend werden in der Ausstellung aktuelle Arbeiten aus Millers seit 1996 laufendem Fotoprojekt „In the Middle of the Day“ gezeigt. Hierfür fotografiert Miller täglich zwischen 12 und 14 Uhr seine jeweilige Umgebung, und zwar unabhängig davon, wo er sich aufhält. Meistens entstehen dabei Bilder des städtischen Raums und der dort agierenden Menschen. Als Miller sich ursprünglich für diese Tageszeit entschied, war er sich nicht bewusst, dass traditionelle Fotografen sie als denkbar ungünstig fürs Fotografieren betrachten, da das Mittagslicht gewöhnlich eher grell und harsch wirkt. Die resultierenden Aufnahmen fangen ein seichtes, unscheinbares Alltagsleben ein, das aber mit einem blasiert-abgeklärten Sinn für Komik angereichert ist.
Die Zusammenarbeit mit John Miller hat sowohl die Idee als auch das Konzept unserer Galerie entscheidend geprägt, und darum freuen wir uns, in Kooperation mit der Galerie Barbara Weiss diese Werkauswahl in unseren neuen Berliner Räumen zeigen zu können.
übersetzt von Richard Humphrey