(De) John Miller gehört einer Generation von Künstlern an, die sich Anfang der 1980er Jahre in den Vereinigten Staaten von der Minimal Art und der Konzeptkunst loslösen, um eigene Wege zu gehen. Zu jener Zeit entsteht die „Pictures Theory“, die sich paradigmatisch in den Arbeiten von u.a. Richard Prince, Cindy Sherman, Alan McCullum und Sherrie Levine niederschlägt. Miller hingegen steht eher einer späteren Gruppierung von Künstlern aus Los Angeles nahe, mit denen er am CalArts studiert hatte: Mike Kelley, Jim Shaw, Tony Oursler und Christopher Williams. Allmählich gelangt er zu einer völlig eigenen Formensprache, die sich zwar mit der Medien- und Konsumwelt beschäftigt, aber auch die Rolle des Künstlers gegenüber spezifischen gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnissen hinterfragt. Obwohl sein Oeuvre eine Vielfalt an Medien umfasst – Video, Malerei, Fotografie, Collagen, Skulpturen –, nimmt die Malerei von Anfang an einen wesentlichen Stellenwert ein und fungiert seitdem als stets wiederkehrendes Element in seinem Werkkomplex.
Insbesondere Millers erste Gemälde – die er scherzhaft als „regionalistische“ Arbeiten bezeichnet – sind beispielhaft für die fortwährende Auseinandersetzung und das Brechen mit der gesellschaftlich vorherrschenden Vorstellung eines Künstlers. Für diese frühe Serie entschied sich Miller, jeden Tag ein Bild anzufertigen, wobei er die Themen scheinbar willkürlich wählt, von Porträts über Straßenszenen bis hin zu Landschaften. Es geht ihm um eine Art „Hineinversetzen“ (second-guessing), d.h. um den Versuch – wie er es formuliert –, „Bilder von Bildern“ einzufangen. Diese sollen die Perspektive des sprichwörtlichen Normalbürgers, also des Manns oder der Frau von der Straße, wiedergeben. Indem er einerseits malerisch-meisterhafte Pinselführung und andererseits jegliche avantgardistische Konfrontation bewusst vermeidet, versucht er, einen Sinn für das Normative zu kultivieren, um dieses als vorprägendes ideologisches Konstrukt zu enttarnen. So wirkt Miller der Idee des Künstlergenies entgegen, das sich an seinen Werken abarbeitet und stets bestrebt ist, ein ästhetisches Meisterwerk hervorzubringen. Stattdessen wird die Idee von Malerei in eine wirtschaftlich ausgerichtete Welt eingebettet, in der die Reproduzierbarkeit und Schnelllebigkeit längst überhand genommen haben.
Zwei „brown paintings“, die sich unmittelbar am Anfang der Ausstellung befinden, lassen eine Gedanken- und Empfindungswelt erkennen, die derjenigen der „regionalistischen“ Werke ähnelt. Mischt ein Künstler alle ihm zur Verfügung stehenden Farben zusammen, erhält er nicht – wie physikalisch erwartet – die Farbe Schwarz, sondern Braun. Miller nutzt diesen Vorgang für sich: Er fertigt große, monochrom braune oder teilweise noch von Spuren der Ausgangsfarben durchzogene Gemälde an, wobei vor allem der sehr pastose Farbauftrag auf Texturen, die aus Modelliermasse geformt wurden, fast zwangsläufig assoziativ an Fäkalien denken lässt. Miller selbst bezeichnet diesen Stil als „excremental impasto“. Dabei entwirft der Künstler ein ästhetisches Modell, das an die Freud’sche Theorie angelehnt ist, wonach das Kunstschaffen ein sublimierter Analtrieb sei. Es lässt sich aber nichts vollständig entsublimieren, so dass der Künstler bei Millers Vorgehen zum Scheitern verdammt ist, da ihm letztlich nicht mal mehr die Farben und der „natürliche” Farbauftrag bleiben. Die ausbleibende Entsublimierung ist indes nicht bloß im Zusammenhang mit der Kunst zu beobachten, sondern auch in den Massenmedien. In den späten 1990er Jahren beginnt Miller, die Protagonisten und Settings von Spielshows wie etwa „Der Preis ist heiß“ oder „Jeopardy!“ zu malen. Bestechen die Interieurs der inszenierten Fernsehwelt durch ihre starke Farbigkeit, so sind die Figuren in Millers Gemälden in einer eher tristen Kombination von Grau und Sepia gehalten. Diese Technik überträgt er auf seine Serie „Everything is Said“, deren Sujet weinende Menschen in Reality-TV-Sendungen sind. Solche Sendungen können als neue Art Gameshow gelesen werden, denn auch in diesem Format wird die Wirklichkeit als Spiel konstruiert. Bei aller Theatralität der Bilder kommt eher eine Beliebigkeit, quasi die leere Hülle der toten Zeit, zum Ausdruck.
Millers neueste Serie von Fußgänger-Gemälden hat ihren Ursprung teilweise in seinem 1996 begonnenen und noch laufenden Fotoprojekt „The Middle of the Day“. Es handelt sich hier um Fotografien, die der Künstler jeweils zwischen 12 und 14 Uhr aufnimmt. Da zahlreiche dieser Fotos Fußgänger im urbanen Raum zum Gegenstand haben, entschied sich Miller diese auch als Vorlagen für spätere Gemälde zu verwenden. Für diese gestaltet er speziell geformte Paneelen, um die Figuren wie Cutouts erscheinen zu lassen. Während frühere Arbeiten in dieser Serie lediglich im Maßstab 1:4 ausgeführt wurden, lässt Miller sie allmählich immer größer bis hin zu lebensgroß werden und installiert die resultierenden Figuren mit ihren Füßen auf dem Boden des Galerieraums. So entstehen quasi tableaux vivants. Da aber durch das Aussparen des Hintergrunds die Figuren ihrem jeweiligen zeitlichen und räumlichen Kontext entrückt sind, stellt sich die Frage, aus welchen Verhältnissen und Situationen sie stammen. Der Betrachter könnte daher dazu geführt werden, den privaten Ausstellungsraum, in dem die Gemälde hängen, als potentielle Öffentlichkeit zu sehen, und den Diskurs, wonach diese Öffentlichkeit sich als solche auffasst, zu hinterfragen.
Yvonne Scheja