(De) Sie drängt vom Hintergrund in den Vordergrund, wie Kräfte irgendeines Untergrunds, die sich streitbar geben, an vorderster Front. Farbe als Reflexionseigenschaft, Reviermarkierung, als Eroberung fremden Terrains. Vor allem vielleicht: als das radikal Andere, das keinerlei Rechtfertigungen bedarf und nichts zu repräsentieren hat als die eigene Agenda, was in diesem Fall im Wesentlichen bedeutet: sich selbst.
Die Expansion basiert auf der Intensität ihrer Elementarkraft. Zunächst folgt die Farbe den Koordinaten ihrer Bestimmung (oben, unten, rechts, links), dann übertritt sie die Fläche, um sich entlang des gefühlten geologischen Tiefengrads auszudehnen, der dem Innersten der Dinge entspringt und von dort aus lanzenartig in die Welt hineinragt. Unbändig und unabdingbar, wohl wissend, dass Expansion immer ein Stück weit Eskalation ist, weitet sie ihren Wirkungsraum aus – ganz Konsequenz der ewigen Bewegung jener rumorenden Tiefe, der alle Ausdehnung im Grunde entstammt.
Der Raum, erfüllt von umfunktionierten Funktionskleidungsfarben, als Austragungsort und Ordnungssystem, in dem Objekte / Reize / Rezipienten miteinander in Relation treten. Sein Kolorit verbindet die Day-Glo Color Corp. mit dem Dunkel der Nacht, den Rave mit der Revolte, die Notfallrettung mit Psychedelia und der Montanregion Rhein-Ruhr. Mit bloßen Händen und billigem Baumarktutensil auf das rationale Reinweiß der Wände gebracht, kontrastieren fluoreszierende Tagesleuchtpigmente die kohlgrubenschwarzen Kompositionen, um die es hier eigentlich geht; die ihr Macher mit der Bestimmtheit eines STABILO© BOSS großflächig gehighlightet hat und damit unverhofft die eigene, unbunte Dialektik durchbricht.
Es sind gemeinhin keine übersteuerten Textmarkertöne wie diese, die vor Augen hat, wer vom Tapetenwechsel spricht. Aber die Gegenwart braucht den Bruch, das Störsignal, die Vereitlung ihrer Erwartungshaltung. Take this as a general warning or your own private electric blue shock treatment. Taste the troubles of our times, reflected by radical red, violent violet, outrageous orange, and unmellow yellow. Kann die Kampagne gegen das Gewesene dieser Tage überhaupt grell genug sein?
Wie die physikalischen Systeme, auf denen die Lumineszenz beruht, bedarf auch das Denken Störstellen in seiner Struktur sowie gewisser Dotierungselemente, die ihm Farbe verleihen. Die Freiheit ist inkompatibel mit einem Konzept, das vor allem auf die eigene Konsistenz bedacht ist. Entsprechend wichtig: das improvisatorische Element, ohne das alles Handeln abgekartetes Spiel wäre; die Chemie, Alchemie, Physik, Metaphysik der Malerei.
Die Ausstellung als Versuchsaufbau: Manipulation der Variablen. Wiederholung. Differenz. Spekulation. Was der spekulative Realismus für die Welt will, sollte auch Kunst wollen, nämlich bestenfalls kontingent sein, auf unvorhersehbare Veränderung setzen: Nichts hat einen Grund, so zu sein und zu bleiben, wie es ist, alles muss ohne Grund nicht sein oder ganz anders sein können. NEON: from Ancient Greek νέον (néon), neuter of νέος (néos), “new”.
Zeiten ändern sich, müssen sich ändern. Kohle ist längst nicht mehr der wichtigste Kraftstoff der Welt und es ist eine Weile her, dass ihre Beförderung auch in Bottrop und Umgebung eingestellt wurde. Doch natürlich wirkt das Vergangene, wirken bestimmte mentale Nachbilder weiter. Die fluoreszierenden Warnwesten streikender Grubenarbeiter zum Beispiel? (Je kräftiger eine Farbfläche, desto länger und klarer leuchtet sie nach, desto deutlicher überdauert der Reiz die Reaktion.) Der ein oder andere Psilocybe Mexicana?
Man kann biografischen Indizien nachgehen und danach fragen, welche Kräfte hier und heute am Werk sind, welche Impulse sie zutage befördern. Doch das Begründen ist und bleibt ein prekäres Unterfangen (mitunter auch ein performatives), besonders wenn es um Malerei geht, die dem Ungrund stärker zugeneigt scheint, als dem Grund. – Ungrund: in Schellings Freiheitsschrift das „uneinholbar Andere der Reflexion“, dessen Brodeln alles bedingt; die Materie also ebenso wie den Geist, die Kunst wie die Künstlichkeit und jede künstlerische Entscheidung. Ebony ebenso wie Plastic Pink und Screaming Green.
Die anthropomorphe Metapher der schreienden Farbe verweist auf die Aktivität des Materials, auf die Potenz der Pigmente. Im konkreten Fall also auf anorganische, kristalline Stoffe, deren besondere Kraft darin besteht, Wellen umwandeln zu können, um den eigenen Helligkeitsgrad hochzupitchen, unter anderem durch die Verlängerung unsichtbarer UV-Strahlung in wahrnehmbares Licht.
Das Prinzip der Sichtbarmachung: Fluoreszenzdiagnostik, in vivo Bestrahlung, zur Kenntlichmachung von Veränderungen im Gewebe, im Werk. Spurensuche, mittels forensischer Methoden. Wie das charakteristisch wuchernde, schwarze Strichwerk die Motorik des Malens protokolliert, bezeugen auch die farbigen, vielfach in sich selbst bewegten Flächen aufgewühlte Körperbewegungen. Wie die Spuren eines Verbrechens nach Einsatz von Luminol werden einige erst erkennbar, wenn die Show over, das Licht aus ist, und alles Bunte ergraut. – Or do they? Wo Farbe zum Produkt menschlicher Wahrnehmung reduziert wird, geht der Sinn für das anorganische Leben verloren, für eine Realität in Abwesenheit ihrer Rezipienten.
Solange letztere vor Ort sind, beobachten sie: den Abglanz der Farbflächen, der jedes Bild in neues Licht setzt und damit auch: in neue Bewegung. Wenn hier (im Ausstellungsraum und anderswo auf der Welt) irgendetwas leblos erscheint, befindet es sich vermutlich bloß im Ruhezustand seiner eigenen Potentialität. Das Schwarz der Striche, das hier als Lichtschlucker physikalisch gesehen eher den passiven Part hat, weckt Assoziationen zu Schellings Vorstellung vom Ungrund als Abgrund – und ist doch alles andere als indifferent.
Wie der sans-fond, den Deleuze in Differenz und Wiederholung beschreibt, wimmelt die Schwärze der Kohle von Differenzen, von innerer Unruhe und Dissonanz. Da ist das „universale Zu-Grunde-Gehen (effondement)“, das alles Seiende in Schach hält, es häufig zum Kampf, und hin und wieder zur Kunst macht. Aber auch: das urgewaltige Glühen, das der Tiefe stets immanent ist und dann und wann kurz aufleuchtet, durch Spalten und Brüche in der Textur.
„Die Differenz ist der wahre Anfang,“ schreibt Deleuze andernorts, „die Sache erklärt sich durch die Differenz, nicht durch ihre Ursachen.“ Wenn Bilder die Aura ihres Settings speichern können wie Nachtleuchtpigmente das Licht, dann bleibt diesen hier ein neonartiger Nimbus, der ihnen als palinoptisches Nachbild anhaftet und sie präzediert, wie es nur das Neue, nur das Andere kann. Dann überdauert der Reiz die (Re-)Aktion.
Text: Anna Sinofzik