(De) Umgestürzte Rotweingläser, halbleere grüne Flaschen, Knochenreste von Spareribs, Kuchen und unkontrollierte Figuren prägen ausschnitthaft die Bildwelt, die uns Olivia Sterling (1996 in Peterborough, GB) bei Meyer Riegger in Basel vor Augen hält. Als wären wir Betrachterinnen selbst an einem ersten Date im Restaurant oder sässen flirtend an der Bar. Umgeben von intimen körperlichen Beziehungen oder miteinander agierenden Personen sind die neuen Gemälde ein farbiges Spektakel diverser Gelüste und Machtstrukturen zugleich: kaum vollständige Gesichter wahrnehmend, vermitteln die Körperhaltungen und Gesten unersättliches Begehren aber auch Abneigung.
Die Farbe Rot nimmt dabei eine besondere Rolle ein und hebt Tisch, Kleid, Wand, Boden, Stuhl und insbesondere den Wein hervor. Konnotiert mit Blut eröffnet sich so eine körperliche Ebene. Wirkt die pulsierende Leuchtkraft der Farbe zunächst betörend, unterstreicht ihre warnende Intensität doch eine die Gemälde durchziehende Ambivalenz. Es scheint, als wären die Figuren peinlich berührt und möchten aus dem Rahmen treten oder sich entfernen. Mit der Heiterkeit geht sowohl Scham als auch Verbot und Ekel einher. Dicht an dicht sind Ausgelassenheit und Unbehagen in den Szenen des alltäglichen Nachtlebens miteinander verwoben. Die starken Farben unterstreichen dies, prallen aufeinander und definieren kontrastreiche, von dunklen Konturen eingefasste Farbflächen. Während sich die Personen in den Bildern an öffentlichen Orten befinden und essen und trinken, werden sie dem, was sie aufnehmen, erstaunlich ähnlich.
Sterling zwingt uns genau hinzusehen und Machtdynamiken zu erkennen, die bei romantischen Tête-à-Têtes zum Vorschein kommen: Objektifizierung und Konsum gehen oft Hand in Hand. Wie Dating und Attraktivität bewertet werden, ist daher oft politisch und Teil eines Machtgefüges, das race, Geschlecht oder sozialen Status als Bewertungssystem einschliesst. Körperliche Materie (Blut und Fleisch) wird oft mit Essbarem verglichen. Wer was zu essen hat und welche gesellschaftliche Zuschreibung von Nahrung auf bestimmte Gruppen angewandt wird, reicht historisch weit zurück: man denke an codierte feminisierte Nahrung oder Politiker*innen, die den Veganismus für die «Krise der Männlichkeit» verantwortlich machen. Die scheinbar belanglosen Momente der trunkenen Geselligkeit, das ‘Konsumieren’ innerhalb der Bilder entspricht der objektifizierenden Sicht der White Supremacy, Körper mit Essbarem zu vergleichen, jemand unterlegenes ‘fressen’ zu wollen. Im Sinne eines übergriffigen Datings mit einem Fremden. Die Londoner Künstlerin thematisiert diese Hierarchisierung, indem sie jedem Objekt wie auch jedem Hautton seinen Platz im ‘Stück’ zuweist. Mit wiederkehrenden Farbnuancen von Rot, Braun, Rosa und Weiss schafft sie Zusammenhänge, die sie mit Buchstaben systematisiert (B=Black, P=Pink, W=White, R=Red, G=Green).
Ähnlich ist der Titel der Ausstellung paradigmatisch: deine Wangen sind gerötet, sind trinkbar wie Wein und gleichzeitig deuten rote Wangen auf weisse Menschen hin, womit unterstrichen wird, dass bei der Beurteilung von Körpern oft der weisse Körper als Standard gilt. Gelesen als Flirtspruch oder als anzüglicher Kommentar; in jedem Fall ein weiteres Gemenge von Nahrung und Körperlichkeit, nach Sterling: «als würde die innere Welt aus jemandem herausgezogen und auf die Wangen gelegt werden».
Die aktuelle Serie rückt also existenzielle Fragen und düstere Situationen in den Vordergrund, die das Gefühl der Entfremdung verstärken: die innere-private und äussere-öffentliche Welt prallen aufeinander, der Wunsch nach körperlicher Nähe, wie auch hemmungsloses Betrunkensein im Zusammenspiel mit einer alleinnehmenden Passivität, die Suche nach Bestätigung in Komplimenten, die die Objektifizierung nur noch verstärken. Die Bilder transportieren ein Unbehagen oder eine Traurigkeit, die das gesamte ‘Date’ durchdringen, zu unbehaglichen Situationen und schlechtem Benehmen führen. Der krasse Wechsel von ausgelassenem Feiern und angewidert oder peinlich berührt zu sein durch übergriffige und objektifizierende Kommentare und das Bewusstwerden der inneren durch die äussere Welt ist den Bildern inhärent, wird jedoch von der für Sterling typischen cartoonhaften Ästhetik verhüllt.
Text: Tuula Rasmussen