(De) Wir freuen uns, mit „Time, Process“ und „Process, Time“ zwei Gruppenausstellungen zu präsentieren, die parallel in unseren Karlsruher und Berliner Galerieräumen zu sehen sind. Beide Ausstellungen führen solche künstlerischen Arbeiten zusammen, bei denen Zeit – als Augenblick gefasst – sowie der prozessuale Verlauf von Zeit wesentlich in der Formgebung der jeweiligen Werke ist. Unter der Überschrift „Process, Time“ zeigen wir in Berlin Arbeiten der Künstler Katinka Bock, Björn Braun, Henrik Hakansson, John Miller, Helen Mirra und Jonathan Monk. Mirra bildet eine Schnittstelle zu unserer Karlsruher Galerie: unter dem Titel „Time, Process“ sind hier neben ihren Arbeiten auch solche von Peter Dreher und Gabriel Vormstein zu sehen. Die von den Künstlern verwendeten Medien Malerei, Skulptur, Installation, Film und Fotografie bilden einen Rahmen für den Vorgang, den sie beschreiben. Die Spur, als Kennzeichnung eines Verlaufs von Zeit, wird dabei ebenso inhaltlich, wie auch in ihrer Materialität als künstlerische Beschreibung wirksam. Zeit und Prozess erscheinen in ihrer Betrachtung zugleich als antagonistisches und einander bedingendes Paar: Zeit und Prozess sind Zustände – aber solche, die vergehen und sich in ihrem Voranschreiten gegenseitig negieren und bestätigen. Zeit wird produktiv, wenn sie als Prozess gedacht wird, und umgekehrt. Die Skulpturen und Installationen von Katinka Bock beschreiben Raum, indem sie ihn als Teil ihrer Materialität definieren: Ihre aus Stein, Ton, Sand, Metall oder Textilien herausgebildeten Arbeiten erlauben eine Narration, die vom einzelnen Objekt, aber auch aus der Bezugnahme zwischen den Arbeiten und der damit beschriebenen Raumstruktur hervor geht. Neben dem Einbezug der Elemente nutzt die Künstlerin bei der Umsetzung ihrer Arbeiten auch elementare Eigenschaften wie Anziehung, Abstoßung, das Ausdehnen oder Zusammenziehen von Masse. Bock intendiert das Eingehen von Verbindungen, wobei das Zusammenwirken und die Veränderbarkeit von Skulptur und Raumgefüge oft eine von Reaktion geprägte Formfindung mit sich bringt. Ihre Arbeiten entstehen dabei aus Begegnungen von konkreten und sich im Verlauf befindenden Situationen, die Katinka Bock in spezifische materiale und räumliche Verhältnisse übersetzt. In unseren Berliner Galerieräumen präsentierten die Installation „Landschaft im Winter mit Hut“, eine aus rechteckigen Kalksteinplatten arrangierte Tektonik am Boden, die an einer Stelle von einem Filzhut – mit Meersand gefüllt – bedeckt wird. Björn Brauns künstlerische Arbeit entsteht aus einem Prozess der Umformung: In einer Synthese aus Hinzufügen und Wegnehmen generiert der Künstler Bilder, Collagen, Objekte und Raumgefüge, die zwischen natürlicher Genese und künstlicher Formgebung zirkulieren. Papier, Holz, Fasern und Federn bilden für Braun Substanzen, die er in Korrespondenz mit Literatur, industriell erzeugten Textilien oder in der Natur gefundenen Gegenständen bringt und in dieser Gegenüberstellung einem bildhaften Diskurs unterzieht. Im Aufbruch und Verstellen eines gewohnten Blicks setzt Braun seiner konzeptuell-minimalistischen Formensprache einen anarchistischen Gestus entgegen, der das Gegenständliche seiner Arbeiten hin zur Abstraktion überführt. Im Kontext unserer Ausstellung in den Berliner Galerieräumen zeigen wir eine Holzleiter, deren Trittbrett von Braun entfernt wurde und in Folge dessen – in einem mehrtägigen Prozess des Zersetzens der Holzfasern in Wasser – vom Künstler zu Papier geschöpft wurde. In der Ausstellungssituation korrespondiert die Leiter mit dem Bild, das ihr gegenüber an der Wand hängt und als mediale Umformung in einen Dialog mit ihr tritt. Der Künstler und Autor John Miller beleuchtet in seinen Objekten, Bildern und Texten unterschiedliche gesellschaftliche Begehrlichkeiten, die er einer metaphorischen Kritik unterzieht. In unseren Berliner Galerieräumen zeigen wir einen Auszug aus seinem fotografischen Projekt „Middel of the Day“, das John Miller seit 1994 kontinuierlich verfolgt. Es sind Fotografien, die der Künstler mittags zwischen zwölf und zwei Uhr an unterschiedlichen Orten verschiedener Stadtraumlandschaften aufgenommen hat. Die Szenen – zumeist Menschen auf ihren Wegen durch die Stadt – sind sich in ihrer Komposition ähnlich. Aber doch zeigt jedes der mittlerweile über 1600 Bilder eine Zeitspanne (die Mittagspause), die Freizeit und Berufszeit miteinander verbindet, ja die einen Moment des Tages definiert, der einen Freiraum öffnet, aber dennoch in der Bemessenheit dieser Freiheit von Vergänglichkeit kündet. Die passagenhaften Ausschnitte zeigen gleichsam Bewegung, Zerstreuung und Stillstand, Menschen in ihrem Konsumverhalten, aber auch von Akteuren freigestellte städtische Landschaften. Die Objekte und Installationen von Jonathan Monk changieren zwischen Erinnerung, Vorstellung und konkretem Zustand. Der Künstler schreibt der einzelnen Arbeit eine eigene Zeitlichkeit zu, deren Gültigkeit er zugleich – oftmals auf humorvolle Weise – in Frage stellt. Im Einschließen, ja nahezu nostalgischen Archivieren eines (aktuellen) Gebrauchsgegenstandes, unterminiert der Künstler dessen Funktion und Nutzbarkeit. Dies zeigt sich in der Arbeit „The Odd Couple“, die wir in unseren Berliner Galerieräumen zeigen: Es sind zwei zueinander gewandte Standuhren, deren Zeitanzeige durch die Positionierung der Uhren nicht mehr ablesbar ist – sie machen letztlich ihre eigene Vergänglichkeit evident. Im Verlauf der Ausstellung wir Jonathan Monk eine weitere Arbeit realisieren: „Greta-Garbo-Straße 8“. Der Künstler lässt während der Dauer der Schau eine Wandarbeit in der Galerie errichten, welche das Fliesenmuster des Hauses Nummer acht der Berliner Greta-Garbo-Straße rekonstruiert. Die Fliesen werden sukzessive an einer unserer Galeriewände angebracht. Helen Mirra arbeitet ortsspezifisch mit vorgefundenen – natürlichen, kulturellen – Erzeugnissen, deren Bedeutung sie durch Aneignung reformuliert und in einen narrativen Kontext einbettet. Fotografie, Film, Sound, Sprache und Textilien stehen in einem konzeptuellen Dialog zu klassischen Gattungen wie Skulptur, Malerei und Zeichnung. Im Verweben und Auflösen von Materialitäten und Kategorien generiert die Künstlerin eine minimalistisch geprägte Bild- und Objektsprache, die oft mit einer abstrakten Verknüpfung von Raum und Zeit einhergeht: Mirra erstellt dabei Referenzen auf eine außerhalb der Arbeit liegende Wirklichkeit, die – ihre eigene – Bewegung in Zeit und Raum einschließt und als Momentaufnahme in die Ausstellungssituation überträgt. Die von uns in Berlin und Karlsruhe präsentierten Arbeiten knüpfen an Helen Mirras im Jahr 2000 in unserer Karlsruher Galerie gezeigten Ausstellung „beforsten“, sowie an ihre neue Werkgruppe „Field Recordings“ (aktuell im Bonner Kunstverein) an. Beiden Gruppen gehen Wanderungen voran, bei denen die Künstlerin im Naturraum gefundene Objekte wie Äste oder Steine auswählt, und noch vor Ort einen Tusche- oder Öl-Abdruck von diesen auf Leinen anfertigt. Sie zeichnen nicht nur in ihrer Bildhaftigkeit einen abstrahierten Landschaftsverlauf nach, sondern sind selbst Dokument von Mirras in Sequenzen unterteilte Durchquerung und Aufzeichnung des Naturraums. Die Malerei, Collagen und Installationen von Gabriel Vormstein umschreiben Zeitlichkeit, indem sie die befristete Aktualität eines Zustands umkreisen. Der Gedanke der Endlichkeit findet in seinen Arbeiten in der Verwendung von porösen und leicht vergänglichen Materialien Ausdruck – solche, die in ihrer begrenzten Konsistenz der Arte Povera verwandt sind. Die Haptik von dünnem Papier, die spröde Beschaffenheit von trockenem Holz oder die Liquidierung von Tee zu Farbe: die Zersetzbarkeit der von Vormstein verwendeten Materialien bildet eine von Auflösung geprägte Gestalt seiner Arbeiten. Oft dient dem Künstler die Tageszeitung als Bildträger, die er als Ersatz und Erweiterung der klassischen Leinwand definiert. Für unsere Karlsruher Galerieräume hat Gabriel Vormstein eine großformatige Wandarbeit konzipiert, deren Membran sich aus der Collage aus – ihrem Kontext entrissenen – Zeitungsblättern und –bildern zusammen fügt. Gleich einem Wandfries zieht sich die mit einem Kreismotiv versehene Malerei auf Papier über den Wandverlauf der Galerie, mit der vis-à-bis eine Folge von Gipsarbeiten korrespondieren: die in quadratische Formen gegossene Blöcke legen im Querschnitt eingelassene Äste und damit ihren konservierten Wachstum frei. Peter Dreher unterzieht das Konzeptuelle einer malerischen Revision: Mit seinem Werkzyklus „Tag um Tag ist guter Tag“ fokussiert der Künstler das Spezifische des Wiederkehrenden und berichtet in seiner realistischen Malweise von einer fotografischen Serialität, die er gleichsam in Motiv und Medium unterwandert. Im Jahr 1972 hat Dreher sein erstes Bild vom Glas gemalt, das er seit 1974 als fortlaufendes Projekt bis heute verfolgt. Sukzessive setzt sich die Serie eines leeren Wasserglases fort, das sich in seiner Gestalt und Positionierung nicht verändert, wohl aber in ihrer Spiegelung des umliegenden Raumes. Statt des Wassers als Essenz des menschlichen Lebens sind es in Drehers Gläsern Einschlüsse von Momenten, die sich auf der Oberfläche des gemalten Glases als Reflexion abzeichnen. Die Kategorisierung von Tag und Nacht bei Drehers Gläsern kennzeichnet den Modus der unterschiedlichen Zeiten, die der Künstler als fiktiven Abdruck von Realität mit jedem seiner Gläser einfängt. Mehrere Tausend Malereien hat er seit Beginn dieses Projektes angefertigt, die stets dasselbe Motiv, aber nie die gleiche Situation schildern. In unseren Karlsruher Galerieräumen zeigen wir eine Gegenüberstellung von Tag und Nacht.
Christina Irrgang