In seinem Leben muss Peter Dreher (1932 – 2020) viel gesehen haben, und er muss vieles aufmerksam gesehen haben. Einordnen lassen sich seine hier gezeigten Bilder als Stillleben, Landschaften und Interieurs. Aber solche Einordnungen werden dem ganz besonderen Anspruch Peter Drehers und den ganz besonderen Erfahrungen von Betrachtern nicht gerecht.

Peter Dreher hat seit 1972 immer wieder dasselbe Glas gemalt, unter klar definierten, immer möglichst ähnlichen Bedingungen. Alle etwa 5000 Bilder dieser Serie sind verschieden, jedes ist einzigartig. Es gibt Gruppen wie die in San Diego entstandenen Bilder. Peter Dreher hat das Glas jeweils neu gesehen, und Betrachter sehen nun diese Bilder (und nicht das Glas!) jeweils, immer neu. Jedes einzelne Bild aus dieser Serie ist anders als die anderen und macht eine besondere Aufmerksamkeit Peter Drehers deutlich. Stillleben wie diese Bilder zeigen die Momentaneität einer Begegnung zwischen einem lebendigen, sehenden Menschen und einem tendenziell gleichbleibenden, toten Objekt.

Bei Bildern von Landschaften ist die Aufmerksamkeit anders. Wer eine Landschaft sieht, sieht – anders als bei einem starren Gegenstand – nie Gleiches. Mit jedem Moment ändert sich alles. Das Licht, der Himmel über dem tiefen Horizont – alles ist flüchtig und immer neu. Und natürlich erwartet man nicht, nach einer Stunde oder gar drei Wochen dieselbe Landschaft zu sehen. Eigentlich kann man gar nicht so schnell malen, wie sich das Gesehene ändert. Es kann keine zwei gleichen Bilder geben. Peter Drehers Bilder sind Spuren seiner Aufmerksamkeit für das Flüchtige, und sie regen dann, wenn sie in Innenräumen hängen, dazu an, die Ruhe innen und die Flüchtigkeit außen gleichzeitig im Blick zu haben.

Das vielteilige Interieur Peter Drehers erscheint fast wie ein Panorama. Im Innenraum hängen da einzelne, genau definierte Bilder von dem, was der Maler in einem anderen Innenraum hat sehen können. Die Bilder sind nicht aneinander gehängt, sondern mit Abstand, so dass sich der Eindruck eines Gitters ergibt. Jedes dieser Bilder ist nur Teil des Ganzen. Es entsteht ein imaginärer Raum im Raum, und Betrachter sehen den wirklichen Raum zusammen mit dem gemalten. Hier gibt es nicht einen einzelnen Gegenstand, ein einzelnes Gegenüber, wie es das gleichbleibende Glas war, und hier ist keine sowieso unendliche, veränderliche Landschaft. Im Interieur sind Betrachter tatsächlich mittendrin und als Sehende am eigenen Ort irritiert. Die Gleichzeitigkeit von Überforderung und Ruhe kennzeichnet diese Arbeit.

Peter Dreher war Maler, und er reflektierte, was Bilder können. Ein Bild ist immer Zeugnis einer bestimmten Art von Sehen und es fordert ein bestimmtes Sehen. Jedes Bild hält das sonst Flüchtige, das Nicht-Festhaltbare doch fest. Ein Bild ändert sich nicht, jedenfalls bleibt es lange konserviert. Bilder sind eine verrückte Angelegenheit. Die Bilder, die wir in Innenräumen an die Wände hängen, sind überhaupt nicht selbstverständlich. Die ganze europäische Kunsttheorie steckt dahinter. Leon Battista Alberti hatte 1434 ein Bild mit einer „fenestra aperta“, einem „geöffnetes Fenster“, verglichen. Ein Bild ist zwar ein Ding, aber es wirkt wie eine Öffnung in der Wand.

Hier heißt das: Zwischen dem Sehenden und dem Glas ist eine Art Fenster. Zwischen dem Sehenden und der Landschaft ist eine Art Fenster. In dem Interieur ist eine Art Fenstergitter. Eben weil die Unmittelbarkeit fehlt, weil da eine Trennung ist, sieht man als Betrachter genauer.

Jedes der Bilder und jede der Bildgruppen Peter Drehers ist das Protokoll seiner Aufmerksamkeit. Und jedes Bild und jede Bildgruppe ist jetzt eine Aufforderung an Betrachter, aufmerksam zu sein. Eine solche Aufmerksamkeit ist anders als die „ungebildete“ Aufmerksamkeit für Dinge, für Landschaften, für Innenräume. Aufmerksamkeit ist nicht ursprünglich gegeben, sie fordert Bemühungen, und sie fordert eigentlich die ganze Kultur, die jetzt aber wieder Ursprünglichkeit ermöglicht.

Peter Drehers Bilder sind nicht nur schöne Wiederholungen, sondern sie sind hochentwickelte Werkzeuge für Aufmerksamkeit. Sie lassen ihren Betrachtern die Freiheit, mit ihrer jeweils beim Sehen erreichten Aufmerksamkeit eigene Ziele zu entwickeln und zu verfolgen. Dabei sind die großen Traditionen der Kunsttheorie und die großen Ideen aus der Kunstgeschichte, etwa bei Stillleben oder bei Minimal Art, wichtig: Nur wer wirklich aufmerksam ist, sieht so etwas wie Wahrheit, kann deshalb dann auch jeweils sinnvoll handeln, kann bei sich und in der Welt sein. Ohne Aufmerksamkeit geht die Wirklichkeit verloren.

Prof. Dr. Angeli Janhsen, Freiburg